Politisierung

Das Corona-Virus ist auch ein Intelligenzdetektor

Von Christian Raum · 2020

Durch kluge Entscheidungen konnten die Betreiber von systemrelevanten Organisationen Gesellschaft und Wirtschaft bislang auf Kurs halten. Für sie ist entscheidend, dass sich die Menschen nicht von Verschwörungen und Aggressionen beeindrucken lassen, sondern den Weg weiter gehen, der aus der Krise herausführen wird.

gezeichnetes Männchen, was über Stufen rennt, unter ihm sind Viren gezeichnet.
Klugheit gewinnt in Zeiten der Pandemie. Foto: iStock/ilkercelik

Gleichzeitig mit Covid-19 prallen zwei Strömungen auf die Gesellschaft, die langfristig ebenso wie das Virus das Zusammenleben verändern könnten. Dabei scheint es eine der Gesetzmäßigkeiten der Pandemie zu sein, dass Menschen die Lage und die Entwicklungen völlig unterschiedlich und manchmal höchst eigennützig einschätzen. Das wäre keine Katastrophe, wenn nicht gleichzeitig Gesundheit und Leben von der Klugheit und der Weitsicht vieler Entscheidungen abhingen. So ist es offensichtlich nicht nur unpassend, sondern sogar destruktiv, wenn aggressive Kräfte während der Krise Straßen und Parlamente als Plattform und Bühne nutzen, um gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu mobilisieren. Eine zweischneidige Bedeutung kommt dabei Internet und Onlineportalen zu. Hier kommentieren und informieren Journalisten und Redakteure über Krankheit und Heilung, während einen Klick weiter Unverbesserliche hetzen und zerstören. Dabei haben Internettechnologien das Potential in vielen Bereichen eine positive Neuausrichtung einzuleiten und der angeschlagenen Wirtschaft neue Geschäftsmodelle zu eröffnen.

Mortalitätsrate als Entscheidungsgrundlage

Natürlich ist Bildung systemrelevant und selbstverständlich müssen Forschung, Lehre und Geschäftsbetrieb einer Hochschule auch in der Pandemie weitergeführt werden. In Hochschulen haben die Verantwortlichen eine fundierte und kontrovers diskutierte Einschätzung zu Lockdown und Hygienevorgaben. Hier ist die Analyse pragmatisch. Die Hochschulleitung sieht sich auch in der Verantwortung für Gesundheit und Leben der Mitarbeitenden, der Studierenden und der Forschenden. Bei den Diskussionen über die Entscheidung für oder gegen eine Schließung der Hochschule ist deshalb die Mortalitätsrate ein wichtiges Argument gewesen. Bis heute gibt es zur Schließung keine Alternative und man gestattet auch keine Ausnahmen. Ein Blick zurück in den April 2020 – damals gab es aus verschiedenen Ländern und von verschiedenen Institutionen unterschiedlichste Berechnungen und Einschätzungen zu Infektions- und Sterberate. In Norditalien wurde die Mortalitätsrate zeitweise mit rund fünf Prozent berechnet, das Robert Koch-Institut hatte einen Wert von 1,2 Prozent vorgelegt. Wenn die Verantwortlichen von einer Sterberate von nur einem Prozent ausgehen, könnte die Hochschulleitung bei einem fortlaufenden Betrieb für den Tod sehr vieler Menschen verantwortlich sein. 

Viele Personen, die den Lockdown diskutieren, wollen dieses Argument nicht akzeptieren. Unter akademischen Mitarbeitern, sogar in den Behörden und auch bei Studierenden gilt Covid-19 bei einigen bis heute als eine „leichte Grippe“, Maskenpflicht verstehen sie als einen Angriff auf die persönliche Freiheit, die Schließung der Hochschule als Angriffe auf Forschung und Lehre. Anscheinend ist das Corona-Virus auch eine Art Intelligenzdetektor für uns alle. Die Forderungen waren, dass Präsenzveranstaltungen weitergeführt werden und Prüfungen in der Hochschule stattfinden. Dies ist aber in der Realität einer sich weiter ausbreitenden Pandemie keinesfalls möglich gewesen. Glücklicherweise standen sehr schnell digitale Möglichkeiten bereit, mit denen viele Aufgaben der Hochschule bis heute – und sicherlich auch in Zukunft – weitergeführt werden.

Politisierung: Diskussionen und Debatten sind systemrelevant

Offensichtlich ähneln die Debatten in einer Hochschule denen, die auch bei sogenannten „Hygienedemos“ geführt werden – beispielsweise in der Rosa-Luxemburg-Straße in Berlin-Mitte. Hier vor der Berliner Volksbühne haben verschiedene Gruppen zu Protesten gegen Lockdown und Abstandsbestimmungen aufgerufen. Aber die eigentliche Intention vieler der Protestierenden scheint die Politisierung der Maskenpflicht zu sein. Schon seit Wochen haben vor allem konservative Politiker rund um den Globus die Gesichtsmaske zu ihrem negativen Lieblingssymbol erkoren. Die Ablehnung der Gesichtsmaske setzen sie mit der Freiheit des Einzelnen gleich, ihr Kampf gelte Unterdrückung und Diktatur. Meinungsfreiheit und das Recht zu demonstrieren sind Grundpfeiler der Gesellschaft. Ohne Zweifel sind Diskussionen und Debatten auf der Straße systemrelevant und müssen geschützt werden. 

Hand, die eine Maske in die Luft hält
Gesichtsmasken sind für viele das Symbol einer rätselhaften Verschwörung. Foto: iStock/ undefinded undefined

Ob aber Provokationen verbunden mit der Gefährdung von Leben und Gesundheit anderer Menschen auch schützenswert sind, das ist auch hier auf der Rosa-Luxemburg-Straße Bestandteil der Debatten. Demonstrativ sind die Protestierenden ohne Gesichtsmasken auf dem Weg zum Veranstaltungsort. Der ist allerdings von Polizisten gesperrt, die wiederum Abstandsregeln und Maskenpflicht durchsetzen sollen. Am nächsten Tag zeigen die Zeitungen Bilder der Demonstration, in den Artikeln ist von Verschwörungen und Geheimbünden die Rede. Eine Argumentation, die in beide Richtungen funktioniert. Die Demonstrierenden fühlen sich verfolgt, viele Kritiker der Proteste glauben, dass die Protestierenden selbst von Verschwörern gelenkt werden. Insgesamt scheinen Diskussionen im Jahr 2020 nicht nur mit Viren vergiftet zu sein.

Infektionen im Krankenhaus

Eine Hochschule kann schließen und auf digitale Systeme ausweichen, um Menschen vor Krankheit und Tod zu schützen. Demonstranten brauchen sich keine Sorgen zu machen, ob ihre Forderungen das Leben und die Gesundheit von unzähligen Menschen gefährden – sie werden keine Verantwortung übernehmen müssen. Doch den Verantwortlichen in einem Krankenhaus sind diese Wege versperrt. Tatsächlich arbeiten mehr als 12 Prozent aller Infizierten in Medizin- oder Pflegeberufen. In diesem Bereich sind bis Anfang Juli bereits 63 Todesfälle bekannt geworden. Einige Krankenhäuser hatten schon sehr früh viele Patienten und damit große Erfahrung beim Umgang mit dem Virus gesammelt. In anderen Krankenhäusern hat es sehr lange gedauert, bis tatsächlich der erste Corona-Patient aufgenommen wurde. In einem dieser Krankenhäuser wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Wochen intensiv auf diesen Moment vorbereitet. Die Hygienemaßnahmen waren umgesetzt, die Notfallpläne festgelegt, die auf der Straße so aggressiv diskutierte Maskenpflicht stand völlig außer Frage. Und doch passierte das eigentlich Unmögliche – ungeschützte Mitarbeitende und Infizierte trafen sich – erstaunlicherweise in einer kurzen Pause, ausgerechnet beim Rauchen. Hier sprang Covid-19, das noch immer von Medien als „neuartige Lungenkrankheit“ bezeichnet wird, über. Alle Beteiligten wurden in Quarantäne geschickt, der Ausbruch konnte auf den Hotspot Raucherecke beschränkt werden.

Quelle: Sachverständigenrat Wirtschaft, 2020

Internet bietet neue Geschäftsfelder

Auf dem Weg nach Hause kaufe ich mir selbst eine Packung Zigaretten und eine Zeitung. Ich erinnere mich, dass entlang der Straßen, auf Bahnhöfen und an Bushaltestellen viele Kioske und Buchläden während des gesamten Lockdowns geöffnet waren, denn auch sie sind als systemrelevant eingestuft. Doch die Besitzer der Läden waren in ihrer Begeisterung, als systemrelevant zu gelten, gespalten. Für viele war der Kontakt mit Kunden schlicht zu riskant, sie schlossen ihre Läden ab und verkauften Bücher oder Magazine über ihre Internetseite. Anders waren die Bestimmungen für die vielen Zeitungsläden, die mit Paketversandfirmen zusammenarbeiten. Sie hatten die Pflicht geöffnet zu bleiben. Und nach und nach nahm die Zahl der Zeitungen, Magazine und Bücher in den Regalen ab – dafür stapelten sich bunt bedruckte Pakete und Kartons zwischen den Regalen. Eine Nachfrage bei einem großen Druckunternehmen bestätigte den Eindruck, dass die Druckereien in der Krise eher mit Paketen und Etiketten Geld verdienen, als mit Zeitungen und Magazinen. Wenn es um das Bedrucken von Pizzaschachteln und Küchenrollen, von Tomatenbüchsenetiketten und Versandpaketen gehe, könnten sich die Druckereien als Gewinner der Krise sehen.

Wussten Sie schon, dass...

… Deutschland und Frankreich an einer europäischen Alternative zum bisher von großen US-Tech-Konzernen dominierten Cloud-Angebot arbeiten? In der Corona-Krise gab es viel Kritik an den IT-Infrastrukturen, weil viele Daten ins Ausland fließen – und Unternehmen und Sicherheitsdienste dort womöglich bei Videokonferenzen und digitalen Geschäftsprozessen spionieren. Jetzt soll das Projekt „GAIA-X“ endlich intensiv vorangetrieben werden. Als unabhängige digitale Infrastruktur, soll das Projekt auf europäische Werte setzen und perspektivisch zum „Goldstandard“ für Datendienste ausgebaut werden. Damit würde eine vertrauenswürdige Grundlage für IT-Themen wie Homeoffice, vernetztes Fahren und nicht zuletzt künstliche Intelligenz entstehen.

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