Herausforderungen im Bildungssystem

Schule ohne Lehrkräfte

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2023

Personalmangel, Lernrückstände und übervolle Klassenräume führen dazu, dass immer mehr Kinder den Anschluss verlieren. Abhilfe schaffen könnte die Digitalisierung: Moderne Technologien bieten die Chance, Lehrkräfte zu entlasten und Wissenslücken bei Kindern aufzuzeigen.

Lehrerin gibt einer Schülerin ein High-Five.
In vielen Schulen herrscht inzwischen ein Mangel an Lehrkräften. Foto: iStock / Drazen Zigic

Die Coronapandemie ist gerade überstanden – jetzt müssten die Schulen die Lücken, die durch Unterrichtsausfall und Homeschooling entstanden sind, mit Hochdruck füllen. Eigentlich. Doch schon zeigen sich neue Probleme in den Bildungseinrichtungen: Aufgrund von Krankheitswellen im Herbst und Winter, vor allem aber aufgrund des immer größer werdenden Personalmangels an den Schulen fallen immer mehr Stunden aus. Schulleitende und Bildungsministerien greifen zu teils unkonventionellen Mitteln, um der Lehrkraftnot Herr zu werden. So engagierte eine Schule in Bayern im vergangenen Frühjahr Aushilfslehrkräfte der Bundeswehr, die als ehrenamtliche und unbezahlte Kräfte Aufsicht in Vertretungsstunden führten. Sachsen-Anhalt suchte im vergangenen Jahr via Headhunter neue Lehrkräfte im Ausland, vor allem in Spanien, Polen, Österreich, der Schweiz und Rumänien. Und Berlin ködert Quereinsteigende mit einem Einstiegsverdienst von 5.700 Euro brutto im Monat. Zum Vergleich: Hochschulprofessoren erhalten beim Berufseinstieg in Berlin rund 1000 Euro weniger.

personalmangel ist eine der Herausforderungen im bildungssystem

Überhaupt ist der Personalmangel die für die Schulen derzeit größte Herausforderung, hat auch das Deutsche Schulbarometer ergeben. Für die repräsentative Stichprobe befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag der Robert Bosch Stiftung Anfang November vergangenen Jahres 1.055 Schulleiterinnen und Schulleiter allgemeinbildender und beruflicher Schulen. Neben dem Fachkräftemangel sahen die Schulleitenden die in der Pandemie entstandenen Lernrückstände sowie die Aufnahmekapazitäten nicht deutscher Kinder im Zuge des Ukrainekriegs als drängendste Probleme an. Doch auch die schleppende Digitalisierung, die schlechte technische Ausstattung der Schulen, die überbordende Bürokratie und die zu hohe Arbeitsbelastung wurden immer wieder genannt. Mehrfachnennungen waren möglich.

Das Problem Personalmangel wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen: So werden nach Angaben der Kultusministerkonferenz (KMK) bis 2025 rund 20.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) rechnet mit 35.000; Bildungsforscher Klaus Klemm gar mit 45.000 fehlenden Lehrkräften. Und bis 2030 wird die Diskrepanz noch größer: Die Kultusministerkonferenz rechnet bis dahin mit einer Lehrkraftlücke von 14.000 Fachkräften; das IW geht von 68.000, Klemm von 81.000 aus.

Die Ursachen sind vielfältig: Zum einen gehen gerade in den neuen Bundesländern in den kommenden Jahren zahlreiche Lehrkräfte in den Ruhestand. Zudem gilt der Lehrerberuf bei vielen Berufseinsteigern als unattraktiv, sei er doch unflexibel und biete wenig Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten. Hinzu kommt die seit 2010 wieder steigende Zahl der Kinder. So ist nach Angaben des Nationalen Bildungsberichts 2022 die Zahl der Kinder bis zu sechs Jahren von 4,1 Millionen in 2010 auf 4,75 Millionen Kinder in 2010 auf 4,75 Millionen Kinder in 2020 gestiegen – ein Plus von 16 Prozent. Es werden also schon heute deutlich mehr Schulplätze benötigt als noch vor zwölf Jahren. Der Mehrbedarf wirkt sich zunächst vor allem auf Grundschulen aus, in den kommenden Jahren dann auch auf die weiterführenden Schulen. Die Zahl der allgemeinbildenden Schulen ist jedoch zwischen 2010 und 2020 um sieben Prozent zurückgegangen – obwohl schon seit Jahren abzusehen ist, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler wieder steigt.

Digitalisierung als Unterstützung

Einen Ausweg aus der Misere könnte die Digitalisierung bieten. So sahen im Rahmen der zweiten Cornelsen Schulleitungsstudie, für die das FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie zusammen mit dem Bildungsforscher Klaus Hurrelmann über 2.000 Schulleiterinnen und Schulleiter befragt hat, 95 Prozent in der Digitalisierung einen Hebel, um Lernprozesse zu unterstützen und individualisiertes, selbstbestimmtes Lernen zu verbessern. Möglich könnte das werden, indem Lernstände digital erhoben werden und somit der jeweilige Förderbedarf aufgezeigt und Lernschritte vorgeschlagen werden. Zugleich könnte Digitalisierung die Lehrkräfte unterstützen und Schulen bei Verwaltungsaufgaben entlasten. 99 Prozent fordern, dass digitalisierter Unterricht mit Lernzeiten in Präsenz verbunden werden muss, um Schule als sozialen Begegnungsort zu stärken. Wesentliche Voraussetzung für eine digitale Bildung sind eine gute Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte, sagen 98 Prozent der Schulleitungen. 99 Prozent der Schulleitungen wünschen sich Mittel aus einem fortgesetzten Digitalpakt. Dabei erhoffen sich knapp 6 von 10 Schulleitungen auch weiterhin Ressourcen für die digitale Infrastruktur ihrer Schule. Und 62 Prozent der Schulleitungen gehen noch einen Schritt weiter: Würde der Digitalpakt fortgesetzt beziehungsweise neu aufgelegt, möchten sie die Fördermittel dafür nutzen, um Lernsoftware anzuschaffen. Immerhin 48 Prozent wünschen sich zudem Mittel zur gezielten Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher.

LEISTUNGEN DER GRUNDSCHÜLER SACKEN AB

Die Kompetenzen der Viertklässler in den Fächern Mathe und Deutsch sind während der Coronapandemie durchweg abgesackt. Gegenüber den Vergleichsjahren 2011 und 2016 hat im Untersuchungsjahr 2021 der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard erreichen oder übertreffen, in beiden Fächern abgenommen. Zugleich stieg der Anteil der Kinder, die nicht einmal die Mindeststandards erreichen. So haben im Fach Lesen fast 19 Prozent den Mindeststandard verfehlt, im Zuhören gut 18 Prozent und in der Orthografie sogar 30 Prozent. In Mathematik erreichten 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler den Mindeststandard nicht. Optimale Kompetenzen hatten im Fach Deutsch zwischen sechs und acht Prozent der Viertklässler, in Mathematik knapp elf Prozent. Für die Auswertung hat das IQB = Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zwischen April und August 2021, also unmittelbar nach dem coronabedingten Lockdown, Daten von 26.844 Schülerinnen und Schülern erhoben.

Große Fortbildungsbereitschaft unter Lehrkräften

Neue Lernkonzepte, digitale Tools und bessere Lehrmethoden – lebenslanges Lernen ist auch für Lehrkräfte wichtig. Und dem kommen sie auch nach: So liegt die Fortbildungsquote bei Lehrerinnen und Lehrern nach Angaben des Nationalen Bildungsberichts mit 33 Prozent deutlich über dem Durchschnitt aller Erwerbstätigen (17 Prozent). Im Jahr 2019 haben laut Bildungsbericht 38 Prozent der Grundschullehrkräfte, 43 Prozent der Lehrkräfte an weiterführenden Schulen und 41 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an berufsbildenden Schulen eine Fortbildung absolviert.

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