Lockdown

Mutig durch die Krise

Von Michael Gneuss und Katharina Lehmann · 2020

Deutschland steht still. Doch nicht alle Bereiche sind vom Lockdown betroffen. In vielen Branchen läuft der Betrieb weiter – teilweise unter erschwerten Bedingungen. Wie gut Unternehmen in kritischen Infrastrukturen die Krise meistern, merken Verbraucher vor allem daran, dass sie nichts merken. So funktioniert zum Beispiel die Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und Telekommunikation nahezu störungsfrei. Vor allem aber leistet die Gesundheits- und Pflegebranche Großartiges.

Zwei Hände in Gummihandschuhen halten sich fest. Thema: Lockdown während der Corona-Pandemie
In der Pandemie sind wir nur gemeinsam stark. Foto iStock / weiXx

Weite Teile des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens wurden kurzfristig heruntergefahren. Der Weg aus diesem Lockdown wird lang und schwierig – so viel ist klar. Die Wirtschaft sehnt derweil schrittweise Lockerungen herbei. Denn die Pandemie stellt Unternehmen nahezu aller Größen und Branchen vor Herausforderungen: Über Wochen geschlossene Geschäfte und Fabriken, Umsatzeinbrüche im zweistelligen Prozentbereich und unterbrochene Lieferketten belasten die einen; enorme Nachfragezuwächse und Planungsunsicherheiten die anderen.

Wie hoch die ökonomischen Kosten durch Corona sind, ist derzeit noch nicht absehbar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet die schlimmste Rezession seit der Großen Depression, die mit dem „Schwarzen Donnerstag“ im Jahr 1929 begann und die 1930er Jahre dominierte. Allerdings: Die deutsche Wirtschaft schlägt sich besser als so manche andere Volkswirtschaft. Viele Unternehmen beweisen in der Krise Kreativität, Flexibilität und Solidarität, stellen ihre Produktionen auf nun stark nachgefragte Produkte wie Schutzkleidung, Beatmungsgeräte und Desinfektionsmittel um.

Lebensmittelproduzenten, Großhändler und Supermärkte arbeiten mit Hochdruck daran, die Bevölkerung weiterhin zuverlässig und vollständig mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Denn auch hier ist der Bedarf in Zeiten, in denen Restaurants und Kantinen geschlossen sind, gestiegen. „Überstunden und Extra-Schichten sind in der Lebensmittelindustrie schon seit Wochen an der Tagesordnung. Die Menschen arbeiten am Limit, damit Aldi, Lidl, Rewe, Edeka und Co. die Ware nicht ausgeht“, heißt es bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Das habe auch die Politik erkannt und die Lebensmittelbranche für systemrelevant erklärt. „Klar ist, dass die Versorgung mit Lebensmitteln an der Industrie, aber auch am Bäcker- und Fleischerhandwerk nicht scheitert.“ Wenn Nudelregale einmal leer oder Tiefkühlpizzen ausverkauft seien, liege das vor allem an der gesteigerten Nachfrage. Klar ist aber auch: In den kommenden Wochen könnten Importgüter wie Kaffee und Tee, Kakao oder Reis knapp und damit teurer werden. Gründe sind vor allem die Ausgangssperren in den Anbauländern und die damit kaum verfügbaren Erntearbeiter.

Lockdown: Unternehmen zeigen sich flexibel

Energieversorger halten die Last in den Stromnetzen stabil, obwohl der Strombedarf der Industriekunden aufgrund stillgelegter Produktionszentren zurückgegangen ist. Deutlich höher ist dagegen der Bedarf an Internetbandbreite. Das liegt zum einen daran, dass die Bedeutung von Videotelefonie und Videokonferenz in Zeiten von Social Distancing aufgrund von Homeoffice und Homeschooling gestiegen ist. Viele Deutsche verbringen ihre nun ausgedehnte Freizeit zu Hause zudem auch mit einem Serienmarathon vor dem Bildschirm. Und auch hier zeigten sich die Unternehmen flexibel: So haben die großen Streaming-Anbieter nach dem Aufruf des EU-Industriekommissars Thierry Breton europaweit die Qualität ihrer Videos vermindert, um weniger Datenmengen zu beanspruchen und somit die Bandbreite zu entlasten. 

Gesundheitsbranche schlägt sich wacker

Systemrelevant ist in der Pandemie aber vor allem die Gesundheitswirtschaft. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, Hausärzte und Apotheken, Pharma- und Medizingerätehersteller arbeiten teilweise am Limit, um die medizinische Versorgung der Bundesbürger sicherzustellen. Dabei ist Deutschland durchaus gut ausgestattet: So verfügt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich über eine hohe Versorgungsdichte an Intensivbetten in Krankenhäusern. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, geht dies aus einem Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) auf Basis verschiedener Erhebungen in zehn ihrer Mitgliedstaaten aus den Jahren 2013 bis 2020 hervor. Demnach kamen in Deutschland 33,9 Intensivbetten auf 100.000 Einwohner – wobei in der aktuellen Krisensituation die Kapazitäten konsequent weiter ausgebaut wurden. Zum Vergleich: Österreich brachte es auf 28,9 Intensivbetten je 100.000 Einwohner und die Vereinigten Staaten auf 25,8. Deutlich geringer waren die Kapazitäten in den gegenwärtig besonders stark von der Corona-Pandemie betroffenen Staaten: In Spanien stehen 100.000 Einwohnern 9,7 und in Italien 8,6 Intensivbetten zur Verfügung. 

Einen Engpass gibt es allerdings beim Personal: „Wir hatten im vergangenen Jahr, also schon vor dem Ausbruch der Corona-Krise, die Situation, dass in Deutschland 37 Prozent aller Krankenhäuser zeitweise ihre Intensivstation abgemeldet haben, weil sie zwar Intensivbetten hatten, aber kein entsprechend geeignetes Pflegepersonal“, mahnte Stefan Sell, Gesundheitsökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz, Campus Remagen, gegenüber „SWR2 am Morgen”. Wie sehr Leistungen der Mitarbeiter in der Gesundheitswirtschaft mittlerweile anerkannt werden, zeigt sich, wenn in einigen Städten regelmäßig Applaus für sie von den Balkonen schallt. Oder: Taxifahrer und Transportunternehmen erklären sich bereit, die Alltagshelden aus dem Gesundheitssektor kostenlos in die Klinik und wieder nach Hause zu fahren.

Bis ein Impfstoff gefunden ist

Nichtsdestotrotz: Auch wenn sich viele Unternehmen der aktuellen Krise mutig entgegen stemmen und flexibel, kreativ und weitsichtig neue Geschäftsfelder erschließen oder kritische und essenzielle Infrastrukturen am Laufen halten – substanzielle Restriktionen werden voraussichtlich noch lange bestehen bleiben. So lautet zumindest die Einschätzung der Ökonomen der Bundesbank in ihrem Monatsbericht. „Eine rasche und starke wirtschaftliche Erholung erscheint aus diesem Grund aus gegenwärtiger Perspektive eher unwahrscheinlich.“ Doch Bundesregierung und EZB setzen alles daran, die Wirtschaft gut durch die Krise zu bringen und fit für die Zeit danach zu machen: Milliardenschwere Hilfspakete und das ausgebaute System der sozialen Sicherung, etwa durch Kurzarbeit, sind nur einige der Instrumente. Diese geld- und finanzpolitischen Maßnahmen schafften die Voraussetzungen dafür, „dass sich die deutsche Wirtschaft wieder nachhaltig erholen kann, sobald die gesundheitlichen Bedrohungen durch das Coronavirus zurückgehen“, heißt es im Monatsbericht. 

Auch in den kommenden Tagen und Wochen wird die Bundesregierung schwierige Entscheidungen zu treffen haben, wie Gesundheit und Wirtschaft in dieser Krise in Einklang zu bringen sind. Es ist zu hoffen, dass sie dabei ein glückliches Händchen haben wird.

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